Der ganz normale Badespaß

 
An diesem sonnigen Samstag im Frühsommer bin ich schon bald zum Badesee geradelt, weil für den Nachmittag Gewitter angesagt sind. Noch sind wenige Leute da, und ich suche mir einen Platz mit Blick über den See und auf die Berge -- etwa 10 m vom Ufer entfernt. Seit ich diesen Platz kenne, baden dort die meisten Leute nackt. Dies ist in Südbayern schon seit Jahrzehnten sehr beliebt und an vielen Naturbadeplätzen üblich, wenn auch meist nicht offiziell erlaubt.

Nach einer ersten Runde Schwimmen liege ich entspannt im Gras. Die Sonne steigt höher in den blauen Himmel, und weitere Badegäste kommen dazu. Drei Frauen in fröhlichem Gespräch nähern sich dem Ufer und suchen einen Platz in meine Nähe. Sie sind vielleicht zwischen 30 und 40, aber das ist nicht wichtig, denn das Alter ist ein völlig ungeeigneter Maßstab für den Wert eines Menschen. Zwei der Frauen ziehen unter der Kleidung die Badeanzüge an, die dritte macht dazu keine Anstalten. Also sind es wohl keine FKK-Anhängerinnen. Wie die erste, eine schlanke Frau mit guter Haltung, ihr Kleid ablegt, steht sie in einem schwarzen einteiligen Badeanzug da. "Das ist mein Schwimmanzug", sagt sie zu den anderen, "ich will mich nachher mit einem trockenen Bikini in die Sonne legen."

"Schwimm' doch nackt", sagt unvermittelt die noch bekleidete Dritte, "du wirst sehen, das ist so schön, dass du es nie mehr anders willst!" "Ist das hier erlaubt?" fragt die erste zurück. "Schau dich doch um!" lautet die Antwort und ein Blick in die Runde zeigt, dass das textilfreie Baden hier keinerlei Aufsehen erregt. Auch der Naturschutzwart, der gerade seinen Kontrollgang macht, hat nichts dagegen. Und tatsächlich, der vorher mühsam unter dem Kleid angezogene Badeanzug verschwindet ganz einfach wieder in der Tasche.

Nun liegt die schöne Frau vor mir am Ufer auf ihrer Decke wie die Venus von Velazquez, nur dass sie nicht in den Spiegel, sondern auf das blaue Wasser des Sees, seine bewaldeten Inseln und die Berge im Hintergrund blickt.

Hier hat mir der Zufall ein echtes Kunstwerk vor die Augen gemalt: im Vordergrund eine gelungene Aktinstallation und im Hintergrund die vielgestaltige Natur des Alpenvorlands. Also speichere ich dieses Bild der Harmonie von Mensch und Natur in der Galerie meines Gedächtnisses.

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Bald verflüchtigt sich dieses Bild -- die Freundin hat ihren Bikini in die richtige Position gebracht und beide schwimmen los. Nun blicke ich auf ein reines Landschaftsgemälde. Doch auch ohne menschliche Dekoration ist der Ausblick über diese Landschaft ein Hochgenuss. Ich sehe zu, wie sich Wolken am Alpenrand aufbauen und ein Windhauch das Wasser kräuselt. Die Wiese, auf der ich liege, ist von bunten Blüten durchsetzt und riecht würzig nach Minze und wildem Lauch. Farben, Düfte und das Gefühl des leichten warmen Windes auf der Haut sorgen für Lebensgenuss mit allen Sinnen.

Und vor diesem schönen Hintergrund sehe ich in anmutigen Bildern die Menschen bei ihrem textilfreien Badespaß. Ich sehe Junge und Alte, Menschen mit schönen Körpern und andere, die dies nicht für sich in Anspruch nehmen können, aber trotzdem durch die Selbstverständlichkeit beeindrucken, mit der sie sich an Luft und Sonne bewegen. Und auch die Bikinischwimmerin von vorhin liegt jetzt nahtlos bräunend in der Sonne.

Ich gehe wieder ins Wasser. An diesem Ufer ist der See sehr flach, erst nach ein paar Dutzend Metern kann man schwimmen. Wenn man um sich blickt, sieht man andere Badegäste durch die Untiefen am Schílfrand waten -- genauso wie die junge Badende auf diesem Bild von Anders Zorn, das dieser vor 100 Jahren in einer ganz ähnlichen Landschaft gemalt hat.

Im flachen Wasser planschen jetzt vier kleinere Mädchen, die als einzige Kleidung rote Kopftücher über den blonden Haaren tragen. "Kommt zu mir," ruft ihnen der Vater zu, "die Mama geht jetzt mal schwimmen!" Es ist schön, zu sehen, wie sich Mann und Frau gleichberechtigt um die Kinder kümmern. Auch von anderen Familien schnappe ich Gesprächsfetzen auf -- ein Kind fragt beim Anblick einiger Textilbader: "Warum sind die nicht nackt?" Worauf der Vater sagt: "Hier kann's jeder machen, wie er will." Toleranz ist die beste Strategie im Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen!

Ein halbwüchsiges Mädchen packt seinen faul daliegenden Vater bei den Händen, um ihn hochzuziehen. Der wehrt sich zum Spaß und macht sich ganz schwer, aber dann geht die ganze Familie hüllenlos schwimmen. Wieder ein schönes Bild, an das ich mich gerne erinnere.......

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Leute kommen und Leute gehen -- ein Paar kommt mit Fahrrädern, sie tragen Helm und farbenfrohe Radsportkleidung. Ich höre den jungen Mann sagen: "ich habe nichts zum Schwimmen dabei." Seinem Mädchen ist das offensichtlich nicht unrecht. Wenig später sehe ich die beiden ins Wasser gehen, weiter draußen umarmen sie sich. Es kann einer Beziehung wirklich nur gut tun, die Zeit gemeinsam bei FKK an diesem schönen Flecken Erde zu verbringen!

Ich freue mich, die Menschen wieder einmal als das zu sehen, was sie wirklich sind: keine Sklaven des Kults am Kapital, sondern Kinder der Natur. Ich finde es sehr schön, ihre Körper mit dem Eindruck der idyllischen Landschaft verschmelzen zu sehen. Dieses beruhigende Bild der Harmonie lässt mich an den Fortbestand der menschliche Kultur glauben und von einer schönen Zukunft für das Kind träumen, das eine junge Schwangere gerade in ihrem runden Bauch an mir vorbeiträgt. Für sie ist es gewiss besonders angenehm, nicht durch Kleidung eingeengt zu sein! Aber ich genieße das ebenso.....

Trotz der entspannten Atmosphäre um mich herum werde ich nun doch etwas nervös, denn es brauen sich schwarze Wolken zusammen. Und sie kommen immer näher! Mit dem Fahrrad brauche ich eine halbe Stunde nach Hause. Beim ersten Donnergrollen entschließe ich mich zum Aufbruch, während die Naturistenfamilien um mich herum noch in aller Gemütsruhe ihren Badespaß haben und keine Anstalten machen, ihre Sonnensegel abzubauen. Zusammen mit den ersten Regentropfen komme ich zu Hause an, doch die schönen Eindrücke des heutigen Tages werde ich so schnell nicht vergessen. Und auch die Kinder, die inzwischen wahrscheinlich ordentlich nass geregnet sind, werden trotzdem gerne wieder als Nackedeis an diesen schönen Badesee kommen!

 

 Der Mensch ohne Hülle ist eigentlich der Mensch.
Dem Reinen ist alles rein, warum nicht die unmittelbare Absicht Gottes in der Natur?

Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre

 

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